Experience Journey 2024
Viele Hamburger Unternehmen beschäftigen bereits erfolgreich Menschen mit Behinderungen – meistens über das Budget für Arbeit (BfA). Die „Experience Journey“, eine gemeinsame Aktion der Sozialbehörde Hamburg mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten (LAG WfbM) Hamburg, der Behörde für Wirtschaft und Innovation und der Handelskammer Hamburg, hatte das Ziel, Unternehmen, die am Thema Inklusion interessiert sind, mit Unternehmen, die bereits Menschen mit Behinderungen beschäftigen, ins Gespräch zu bringen und sich über die gemachten Erfahrungen auszutauschen.
Auftakt der gemeinsamen Kampagne war Anfang März eine Plakataktion im Hamburger Stadtbild unter dem durchaus doppeldeutig zu verstehenden Kampagnenmotto „Inklusion? Ist in Arbeit.“. Die drei Motive zeigten eingespielte Teams bei Bonprix , Lufthansa Technik Logistik Services und Darboven Kaffee. Hier wurde Wert auf authentische Models gelegt, die Shootings fanden vor Ort statt, direkt am Arbeitsplatz. Eine neue Website der Sozialbehörde , die ausführlich über alle wichtigen Details zum Budget für Arbeit aufklärt, wurde parallel dazu konzipiert.
Rolf Tretow, Sprecher der LAG WfbM Hamburg: „Wir sind davon überzeugt, dass jedes Unternehmen von einer vielfältigen, inklusiven Belegschaft profitieren und damit gleichzeitig einen Beitrag zur Inklusion leisten kann. Denn Inklusion ist ein Gewinn für alle und zahlt auf die Nachhaltigkeitsstrategie der Unternehmen ein. Doch viele Unternehmen wissen noch nicht um die Möglichkeiten einer Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Da gibt es viele Fragezeichen – ob bei der Finanzierung, beim Thema Assistenzbedarf, bei rechtlichen Fragen, bei der technischen Ausstattung oder auch bei Thema des persönlichen Umgangs miteinander. Dafür wollten wir mit der Experience Journey eine Möglichkeit zum Austausch und zur Vernetzung schaffen.“
An insgesamt sechs Terminen im April und Mai hatten interessierte Unternehmen die Möglichkeit, bei einem Besuch in einem Hamburger Unternehmen, das bereits Menschen mit Behinderungen im Rahmen des Budgets für Arbeit beschäftigt, ganz direkt von den Unternehmensverantwortlichen, aber auch von den dort beschäftigten Menschen zu erfahren, welche Chancen in einem solchen Arbeitsverhältnis liegen und welche Herausforderungen es miteinander zu meistern gilt. Für Fragen standen die teilnehmenden Träger vor Ort zur Verfügung, die Sozialbehörde beriet ergänzend zu Fördermöglichkeiten. Sechs Firmen, bei denen Beschäftigte über das Budget für Arbeit angestellt sind, beteiligten sich an der Experience Journey: Lufthansa Technik, Philips Medical Systems, J.J. Darboven, das Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, Meininger und Diäko.
Das Interesse war groß: Rund 40 Unternehmen informierten sich bei den Besuchen vor Ort über die Chancen und Herausforderungen einer inklusiven Beschäftigung; manche waren auch bei mehreren Terminen dabei.
Am 28. Mai, dem diesjährigen „Diversity Day“, fand die Kampagne dann ihren Höhepunkt bei der Abschlussveranstaltung mit rund 250 Gästen in der Handelskammer Hamburg. Das Programm an diesem Abend war informativ und abwechslungsreich: Es gab Impulsvorträge, eine Podiumsrunde und einen „Table Talk“ mit Vertreterinnen und Vertretern der Firmen Lufthansa Technik, Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten, Philips Medical Systems, Calumet und dem Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE), die aus ihrer Zusammenarbeit mit Kolleg*innen mit Behinderung berichteten.
Zu Beginn der Abschlussveranstaltung begrüßte Dr. Olaf Oesterhelweg, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, die Gäste: „Die Initiative `Inklusion? Ist in Arbeit.´zeigt die Herausforderungen aber auch die sensationellen Chancen für beide Seiten auf – für Beschäftigte wie für Unternehmen. Die Integration von Menschen mit Behinderung fördert nicht nur die Integration, sondern sie schafft auch Vielfalt für alle Beschäftigten; sie weckt Neugierde und regt zum Nachdenken an, und das ist immer gut. Menschen mit Behinderung bringen neue Perspektiven und neue Erfahrungen mit in das betriebliche Umfeld hinein. Im Idealfall fördert das sogar innovative Lösungen, zum Beispiel bei der Gestaltung von Arbeitsprozessen.“ Eine vielfältige, diverse Belegschaft, so Oesterhelweg weiter, sei darüber hinaus ein Schlüssel zur Fachkräftesicherung im Sinne von Arbeitgeber-Attraktivität und führe zum langfristigen unternehmerischen Erfolg.
Nach einem humorvoll-mitreißenden Gesangsbeitrag der Minotauros-Theaterkompanie mit dem Titel „Für Frauen ist das kein Problem“ nahm Hamburgs Sozialsenatorin am Anfang ihres Impulsvortrages Bezug auf den Song, dankte für das tolle Lied und sagte: „…von diesen Frauen könnten wir noch sehr viele mehr haben. Allerdings müssten dann auch Männer und andere besungen werden.“ Die Senatorin übte in ihrem Impulsvortrag auch Kritik am Begriff „bunt“ im Hinblick auf eine inklusive Belegschaft und meinte, dies sei eine Bezeichnung, die eine Farbenfroheit aufgrund von individuell nicht zu beeinflussenden Merkmalen zuweise: „Ich finde das Bild des Bunten ja ganz schön, es zeigt aber auch auf, dass es nicht normal ist, eine Behinderung oder chronische Erkrankung zu haben, zumal die meisten Behinderungen auf den 1. Blick gar nicht zu sehen sind.“ Jede*r Dritte erkranke in seinem Leben psychisch behandlungsbedürftig. Das sehe man nicht. Und das sei auch nicht „bunt“. Schlotzhauer weiter: „Es macht mich manchmal sprachlos, dass wir das Bild des „Bunten“ bedienen, um tiefe Lebenskrisen von Menschen, die einfach menschlich sind, zu beschreiben. Für mich ist Inklusion dann erreicht, wenn wir aufhören, uns gegenseitig als ´bunt´zu bezeichnen, sondern wenn es darum geht, jemanden mit seinen individuellen Stärken auf einem Arbeitsplatz zu platzieren, wo diese Stärken zum Glänzen kommen und wirksam sind – ohne eine Wahrnehmung von „Bunt-Sein“.“
Die Einblicke, die die Experience Journey gegeben habe, so Melanie Schlotzhauer weiter, sei das beste Beispiel dafür, dass Inklusion in Hamburg bereits in vielen Fällen „in Arbeit“ sei. Zu einer gelungenen Arbeitsmarktintegration gehöre auf jeden Fall auch eine diverse Belegschaft. „Ich will Sie als Unternehmen bestärken, eine positive Atmosphäre zu schaffen, in der es ok ist, dass Menschen über ihre eigene Vulnerabilität und über ihre eigenen Bedürfnisse sprechen. Inklusion ist dann erreicht, wenn wir als Gesellschaft akzeptieren, dass wir alle als Menschen unterschiedlich sind. Deshalb halte ich auch nichts von einer Vorteilsargumentation, die vermeintlich in den Vordergrund stellt, warum Menschen mit Behinderung beschäftigt werden sollen. Das ist doch klar: Diese Menschen haben Potenziale, die können etwas – übrigens genauso, wie alle anderen auch“, so Schlotzhauer.
LAG-Vorsitzender Rolf Tretow sagte im anschließenden Podiumsgespräch mit der Sozialsenatorin: „Es ist wichtig, auf die Unternehmen zuzugehen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Wenn man Menschen mit Behinderung bei sich beschäftigen will, braucht man eine gewisse Assistenzleistung. Viele Unternehmen wissen zum Beispiel nicht um die Unterstützungsmöglichkeiten, die Werkstätten, Integrationsfachdienste und andere Anbieter zur Verfügung stellen.“ Eine Veranstaltung, wie die Experience Journey, und auch andere Formate, wie der DUOday und der Schichtwechsel, machten dies transparent. Wichtig sei, so Tretow weiter, durch Begegnung Barrieren in den Köpfen abzubauen - auch bei den Menschen mit Behinderung, die oft Angst hätten, den geschützten Raum der Werkstatt zu verlassen. „Wir müssen raus aus der Komfortzone, um sich sowohl als Persönlichkeit, wie auch als Unternehmen weiterzuentwickeln.“
Bei der anschließenden Podiumsrunde berichtete Claudia Krüger, Director Talent & Culture vom Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg von der gelungenen Umsetzung des BfA: „Das hat Dank der engen Zusammenarbeit mit der Hamburger Arbeitsassistenz von heute auf morgen sehr gut funktioniert.“ Ein vorgeschaltetes Praktikum und die rechtzeitige Integration der gesamten Abteilung habe dabei geholfen, Hemmschwellen im Umgang miteinander abzubauen und Akzeptanz zu schaffen. „Wir machen einfach, überlegen gar nicht lange, wir suchen den Arbeitsplatz für das Talent“, so Claudia Krüger.
Umair Wiebeck und Fabian Kaiser berichteten von ihren Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Wiebeck, Experte für barrierefreie Software-Programme, arbeitet seit 2017 als Assistent Berufsausbildung im Budget für Arbeit bei Philips Medical Systems; Fabian Kaiser als Servicekraft 2 Support Logistik bei Lufthansa Technik Logistic Services. Beide bestätigten: Die Einarbeitung dauerte etwas, doch durch den gemeinsamen Arbeitskontext wurden Vorbehalte schnell ausgeräumt. „Das Teamgefühl und die gegenseitige Hilfe sind das schönste“, so Fabian Kaiser.
Martina Neumann, Senior Recruiterin bei EnBW, meinte, es sei wichtig, in den Unternehmen eine positive Willkommenskultur schaffen; in einen offenen Dialog zu gehen, um über Vorbehalte und Bedenken zu sprechen. Hierbei seien die Führungskräfte in einer absoluten Schlüsselrolle. Die Unternehmen, so Neumann weiter, müssten angesichts des Fachkräftemangels aktiv Interessent*innen ansprechen. „Erstaunlicherweise passiert dies bei der Zielgruppe Menschen mit Behinderung nicht im notwendigen Maße.“ Hier wünsche sich Neumann auch mehr Arbeitgeber-Beratung, mehr Aufklärungs- und Informationsarbeit durch die Träger.
Ewa Maria Jakubczak, Leiterin der Einheitlichen Ansprechstelle für Arbeitgeber*innen (EAA/BIHA), ergänzte diesen Aspekt: „Durch Gespräche und Beratung ergeben sich tolle Möglichkeiten.“ Viele Unternehmen wüssten nicht, welche unterschiedlichen Angebote und Förderungen, welche Unterstützung es bei der Einrichtung inklusiver Arbeitsplätze überhaupt gebe.
Fazit der gelungenen Veranstaltung: Ein Perspektivwechsel hilft, um bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt statt in „Wenn“ und „Aber“ besser in Optionen zu denken, aufgeschlossen zu sein, sich durch Erfolgsmodelle inspirieren und von Expert*innen beraten zu lassen, proaktiv auf Bewerber*innen zuzugehen, sich auch von Herausforderungen nicht entmutigen zu lassen und – vor allem – aus der Komfortzone rauszukommen!
„Wir finden: Da geht noch viel mehr!“ sagen alle beteiligten Netzwerkpartner. Die beteiligten Akteure werden die nächste Zeit nutzen, um das Thema weiter zu bewegen. Bleiben auch Sie dran, abonnieren Sie unseren Newsletter und kommen Sie bei Fragen gerne auf uns zu.